89-jähriger Jude erzählte Teninger Schülern, wie er vor den Nazis floh
Mucksmäuschenstill war es am Montagabend in der Aula der Teninger Theodor-Frank-Schule. Rund zwei Stunden lang berichtete der 89-jährige Felix Rottberger von seiner Flucht vor dem Naziregime. Neben Rektor Thomas Lamp, Geschichtslehrer Thomas Bührer und Schülersprecherin Marlen Weiler hörten zahlreiche Schüler mit ihren Eltern sowie etliche Lehrkräfte zu.
Felix Rottbergers Leben begann am 16. September 1936 in Reykjavik in der Isländischen Hauptstadt, er sei damit der erste Jude, der auf Island geboren wurde, so seine Einleitung. Allerdings verschonte dieser erste Zufluchtsort vor dem Naziregime seine Familie nicht davor, ein halbes Jahr später von den Isländischen Behörden verhaftet und per Schiff nach Deutschland zurück verfrachtet zu werden. Ein dänisches Kindermädchen mit einer Kontaktadresse in Kopenhagen war das erste Wunder von vielen weiteren, das ihn und die Familie rettete, als das Schiff in Kopenhagen anlegte. Denn der dänische Kontakt übernahm die Bürgschaft, damit sie in Dänemark bleiben konnten.
Dramatisch wurde die Erzählung in der Szene, als die Eltern mit inzwischen vier Kindern 1943 nach der Besetzung Dänemarks durch die Deutschen weiter nach Schweden flüchten wollten. Die Eltern waren schon an Bord, als der Steuermann sich weigerte, auch die vier Kinder auf das Schiff zu lassen. Sie blieben allein am Strand zurück und mussten zusehen, wie ihre Eltern davonfuhren. In einem evangelischen Kinderheim mit selbstversorgendem Bauernhof überlebten die vier bis zum Kriegsende. Dabei mussten sie sich oft lange vor den Lebensmittelraubzügen der deutschen Soldaten verstecken, da sie als kleine schwarzhaarige Kinder unter den großen blonden zu sehr aufgefallen wären. Sein Name „Felix“ machte ihm dabei als „Der Glückliche“ alle Ehre, denn ein Soldat aus Hamburg, der seine Schwester im Heu entdeckte, verriet sie nicht, da sie ihn an seine eigene Tochter erinnerte. Ein Erzählmoment, in dem die Zuhörenden die Luft anhielten, so plastisch war die Darstellung des Erlebten.
Dass sie viel Zeit in ihren Verstecken verbrachten, bewies auch ein dänisches Lied, das er noch in allen Einzelheiten in Form eines „Ich packe in meinen Koffer…“ vortragen konnte. Es dauerte nach dem Kriegsende noch mehrere Monate bis mit Hilfe des dänischen Roten Kreuzes Eltern und Kinder wiedervereinigt waren. Zehn Jahre später wanderte die inzwischen zehnköpfige Familie zu Fuß von Kopenhagen nach Konstanz, der Sonne entgegen, nach der sich sein Vater im europäischen Norden stets gesehnt hatte. Seine berufliche Laufbahn führte ihn vom Ausbildungsbetrieb im Lederhandwerk in Offenbach über Ulm und Konstanz schließlich nach Freiburg, wo er für den jüdischen Friedhof zuständig war. Inzwischen mit der Konstanzer Krankenschwester Heidi verheiratet und selbst Vater von fünf Kindern ist seine Familie auf eine ansehnliche Zahl angewachsen, wie ein Familienfoto belegt.
Immer wieder kommt er mit Anekdoten von Begegnungen der Reisen per Wohnmobil zu dem Schluss, dass im persönlichen Gespräch und Kennenlernen ein friedliches Miteinander überall möglich sei. Seine „Odyssee“ vor dem Vergessen zu bewahren, ist sein dringliches Anliegen. So entstand nicht nur ein Buch mit dem Titel „Felix, der lange Weg in den Frieden – eine jüdische Odyssee“, sondern auch ein Film, der am 29. November im Maja-Kino in Emmendingen zu sehen sein wird.
Seine Erzählung endete mit dem Eintritt 1999 in den Ruhestand. Für ihn das passende Schlusswort. Das Erinnern mache ihm trotz der Verfolgungserfahrung viel Freude und er bedankte sich für die große Aufmerksamkeit, bei „der keiner eingeschlafen sei“. Langer Applaus war die Reaktion der Zuhörenden, die sehr ergriffen waren und zunächst keine Fragen stellten. Allerdings suchten viele nach dem offiziellen Teil das persönliche Gespräch mit einem der rar gewordenen Zeitzeugen und seiner Frau Heidi. Elisabeth Stratz

