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Familie und Dorf unter Schock

Bollschweil zehn Tage nach dem Familiendrama um ein totes Kind / Gespräch mit dem Bürgermeister 

Bollschweil. Am Samstagmorgen, 11. Oktober, wurde in Bollschweil ein Albtraum zur Realität: Um kurz nach 9 Uhr raste ein SUV mit überhöhter Geschwindigkeit durch die engen Straßen des Dorfes. Ein Mann, offenbar nicht bei Sinnen, auf dem Weg zu seiner getrennt lebenden Familie. Ein Drama nahm seinen Lauf; ein 8-jähriges Mädchen tot, der Vater als Täter – als mutmaßlicher Täter, wie es im Juristendeutsch bis zu einer Verurteilung heißt – und ein ganzes Dorf unter Schock.

Der Zufall will, dass der Bürgermeister von Bollschweil früher Kriminalbeamter war. Jörg Wagner kennt solche Dramen aus der einstigen Berufstätigkeit. Aber ein solcher Fall im beschaulichen Bollschweil – eigentlich unvorstellbar. Auch eineinhalb Wochen nach dem Drama steht das Dorf noch immer unter Schock und Jörg Wagner ist bemüht, die Rückkehr in den Alltag erträglich zu gestalten. Er bittet Reporter um Mäßigung, schweigt, wo Schweigen angebracht ist. So hat er dem „BILD“-Reporter, der gleich nach Bekanntwerden des Dramas auf der Suche nach Sensationen durch Bollschweil pirschte, nicht die wahre Adresse der betroffenen Familie verraten. Das Haus, in dem das abscheuliche Tötungsdelikt stattgefunden hat, blieb gewissermaßen inkognito. Das Alter des Mordopfers (8) stand genauso falsch in der Zeitung wie das des traumatisierten Bruders (13). Die Bitte um Mäßigung fand bei manchen Medienvertretern nicht wirklich Gehör. „Der Schock ist groß – wir brauchen Raum und Zeit, um das Geschehene verarbeiten zu können“, hatte Wagner appelliert.
Das Dorf gibt sich die Zeit: Der Bollschweil-Berstett-Begegnungstag wurde genauso abgesagt wie die Halloween-Aktivitäten mit Kindern im Rathaus. Der Chor auf dem Wochenmarkt änderte seine Songliste. Es braucht aber nicht nur Zeit, um zu trauern und zu verarbeiten, es braucht auch einen Ort. Die Kirche wurde ein solcher. Der Gottesdienst von Pfarrer Lukas Wehrle am Tag nach dem Drama wurde zu einem Trauergottesdienst; Trauer um ein kleines Mädchen, das auf brutale Weise herausgerissen wurde aus der Gemeinschaft, etwa der örtlichen Grundschule, die auch Trauerarbeit leisten musste und muss. Am kommenden Sonntag um 11 Uhr findet, vor dem Hintergrund der Ereignisse, ein besonderer Kinder- und Familiengottesdienst statt. Vom Rathaus aus koordiniert Wagner den notwendigen Übergang vom Drama zum Alltag, der irgendwann wieder Einzug halten wird. Noch ist es dafür zu früh, auch wenn sich die direkt Betroffenen nicht mehr im Dorf aufhalten. Die Mutter, die ihr Kind und der Sohn, der seine Schwester verloren hat und dessen Papa nun als Täter im Gefängnis sitzt, trauern inzwischen bei Verwandten fern von Bollschweil.
Wie schlimm es um die direkt Betroffenen stehen muss, kann man vielleicht erahnen, wenn man in diesen Tagen das Dorf Bollschweil unter Schock erlebt. Die Gemeinde hat ein Spendenkonto eingerichtet, auf das bereits über 5.000 Euro geflossen sind. Eine Starthilfe zum Weiterleben für die Hinterbliebenen. Gemeinde Bollschweil | Sparkasse Staufen-Breisach | IBAN DE76 6805 2328 0001 2268 93 | Verwendungszweck: Spende/Bollschweil hilft. Frank Rischmüller