Vom guten alten Handwerk in Herbolzheim – Arbeitskreis stellte in der Margarethenkapelle die dritte Ausgabe von „Geschichte und Geschichten“ vor
Herbolzheim (aza). Der Arbeitskreis „Geschichte und Geschichten“ der Stadt präsentierte in der Margarethenkapelle das nun dritte Magazin aus der Sammlung um geschicht liche Dokumentationen und Interviews, diesmal rund um das Handwerk in Herbolzheim und Ortsteilen.
„Geschichte und Geschichten“ heißen die Ausgaben des gleichnamigen Arbeitskreises der Stadt, der sich in diesem dritten Magazin mit dem Titel „Und was Süßes zum Dessert“ mit dem aussterbendem Handwerk rund um Herbolzheim beschäftigt. Zeitzeugen verschiedener Handwerksbetriebe, die das Stadtbild lange prägten, erzählen diesmal aus dem Nähkästchen.
Der Arbeitskreis-Vorsitzende Thomas Gedemer hatte zur offiziellen Vorstellung am vergangenen Mittwoch in die Margarethenkapelle geladen, dessen Aufruf rund 50 Interessierte gefolgt waren. Mit der „Sonate in G“ von John Reed eröffnete das Geschwisterpaar Clara (Cello) und Felix (Geige) Müller die Soirée in der kleinen Kapelle, die mit über 700 Jahre zu einem der ältesten Kultur
güter der Stadt Herbolzheim zählt.Gedemer zeigte sich begeistert über die vergangenen zwei Ausgaben. Die erste habe sich bei seinem Amtsantritt 2018 der Ära der Tabakverarbeitung angenommen. Schon damals wurden Zeitzeugen interviewt und damit erlebte Geschichte lebendig gehalten. Die zweite Ausgabe beschäftigte sich mit der Gastronomie.
Seit Anfang Juli besitzt die Stadt Herbolzheim einen hauptberuflichen Archivar, den sie sich mit dem Gemeindeverband Denzlingen – Vörstetten – Reute teilt. Damit stehe ein professioneller Ansprechpartner zur Verfügung, was die Recherche sehr erleichtere. Unterstützung fand man daher bei Dr. Dieter Schlenker als Direktor des historischen Archivs der europäischen Kommission.
Viele Berufe gibt es nicht mehr
Die Arbeitswelt verändere sich stetig, so Gedemer. Früher habe es Zünfte gegeben, die alles unterteilt hätten. Das Gasthaus Sonne sei lange Treffpunkt der heimischen Zünfte gewesen. Noch in den 1950er-Jahren habe es 320 Handwerker in Herbolzheim und seinen Ortsteilen gegeben. Dieses Mal gehe es deshalb um das (leider teils aussterbende) Handwerk und um die sich verändernden Berufe. Selten bis gar keine Sattler oder Küfer würde man heute im Badischen finden.
Der erste Beitrag dreht sich um Küfermeister Friedhelm Bury aus Broggingen. Er hatte den Anwesenden „Müskegl“ mitgebracht und ließ sie raten, was und wozu die gut seien. Später klärte er auf, dass diese „Mäusekegel“ zum Stopfen von kleinen Löchern durch Insektenfraß oder Mäuse in den Fässern dienten. Natürlich hatte er ein Messer dabei, um das Schnitzen solcher kleiner Holzsplinte aus Akazienholz zu demonstrieren. Bedauerlich finde er, dass in einer traditionellen Weingegend die nächste Küferei erst wieder in Nordrhein-Westfalen zu finden sei.
„Wetten dass …?!“
Uhrmacher und Optikermeister Karl Ruf hätte auch mal bei „Wetten dass …?!“ mitmachen können, denn er erkennt heute noch am Ticken des Pendels, um welche mechanische Uhr es sich handelt. Seine Lehrzeit verbrachte er in Furtwangen wegen des Skilaufens. Allerdings sei es ihm passiert, dass er im ersten Lehrjahr seine Unterkunft nicht wiedergefunden habe wegen des hohen Schnees. Seine anschließende Optikerlehre absolvierte er in Bühl. Bis vor Kurzem reparierte der über 90-Jährige noch zweimal die Woche Uhren.
Sattler und Polsterer Walter Windler wurde bei drei Mark Wochenlohn vom Lehrmeister genötigt, sich einen Werkzeugkasten zu kaufen, den dann der Meister selbst benutzte. Da seine spätere Arbeitsstelle Kinos mit Leinwänden und Bühnenvorhängen ausstattete, kannte er wohl jedes Kino in Süddeutschland und der Schweiz. Heute sind auch die Kinos am Aussterben.
Traditionelle „Brückweckerle“
Die Bäckerei Dörr aus Wagenstadt von Cornelia und Martin Dörr schloss vor fünf Jahren ihre Türen. Cornelia Dörr war eine der ersten weiblichen Konditorinnen im Handwerk und übernahm mit 15 Jahren den väterlichen Betrieb im Odenwald. Martin Dörr erzählte von ihrer ersten Begegnung und erklärt auch, was „Brotmärkle“ seien. Die Tradition der „Brückweckerle“ (Spitz
wecken), die einen Tag vor einer Hochzeit von Kindern an Kinder verteilt wurden, gab er ebenfalls zum Besten.Letzter Interviewpartner war Radio- und Fernsehtechniker Wolfgang Kirner. Angefangen bei Kaiserradio Kenzingen hat auch sein damals boomendes Handwerk nicht überlebt. Zu seiner Zeit kostete ein Fernsehgerät 800 bis 1.200 Mark. Sein Beruf hat ihm immer Spaß gemacht, auch weil er es mit seinem Hobby als Musiker kombinierte und elektronische Kirchenorgeln reparierte.
Neben Thomas Gedemer führte auch Claudia Bühler viele der Gespräche, die durch Einladungen erfolgten. Sie bestätigte die ergreifenden Einzelschicksale, die hinter den Menschen stünden. Mit „Flanxty Irwin “ beendete das Streicherduo eine beeindruckende Stunde, die ihren Ausklang in vielen Gesprächen fand.